Das Grüne Band  Vom Todesstreifen zur Lebensader

Luftaufnahme: Man sieht einen grünen Waldstreifen, rechts und links davon ist Ackerfläche. Im Hintergrund sieht man einen See und Landschaft bei Sonnenuntergang
Das grüne Band an der Landesgrenze Schleswig-Holstein zu Mecklenburg-Vorpommern Foto © mauritius images / Markus Beck / imageBROKER

Im Schatten der einstigen Grenze zwischen BRD und DDR konnte sich über Jahrzehnte Natur frei entfalten. Hier bildet heute das „Grüne Band“ eine Kette von Schutzgebieten. Das Projekt hat unschätzbaren biologischen Wert – und Strahlkraft für ganz Europa.

Es begann Mitte der 1970-er Jahre. Deutschland war ein geteiltes Land, die Grenze zwischen BRD und DDR streng bewacht. Auf 1.400 Kilometern zwischen Dreiländereck und Ostsee bildete sie einen schmalen Korridor, manchmal 200 Meter, manchmal nur 50 Meter breit. „Todesstreifen“ wurde das Gebiet auch genannt: Mit Mauern, Zäunen, Gräben, Türmen und 50.000 bewaffneten Soldaten versuchte man seitens der DDR, Bürger*innen an der Flucht aus dem eigenen Land zu hindern. Mehr als 900 Menschen starben bei solchen Versuchen.

Schwarz weiß Bild von der innerdeutschen Grenze. Man sieht einen Turm, Mauern und einen Wald. Bild: picture alliance / ZB | Eberhard Klöppel

Seit fast 20 Jahren existierte diese Situation, als Menschen auf beiden Seiten der Grenze etwas auffiel. In dem schmalen Gebiet, das sich selbst überlassen wurde, entwickelte sich eine Natur, die es vielerorts kaum noch gab. Gefährdete Pflanzen wuchsen hier, seltene Vögel fanden in dem Grenzstreifen Nistplätze.

Das „Grüne Band“: Wie alles begann

Einer der Beobachter war Kai Frobel. In der Umgebung vom oberfränkischen Coburg aus erspähte er mit dem Fernglas Braunkehlchen, Raubwürger, Ziegenmelker und Heidelerche. Er erkannte Arnika und Knabenkraut und hörte das ferne Quaken von Laubfröschen und Kreuzkröten. Frobel erkannte: Dieses Gebiet mit der tragischen Geschichte entwickelte sich zu einem Refugium für die Natur.

Bereits zu dieser Zeit tauschten sich Naturforschende auf beiden Seiten der Grenze per Post miteinander aus. Als die Mauer schließlich fiel und freies Reisen möglich war, beraumte Frobel mit seinem Kollegen Hubert Weiger kurzerhand ein Treffen an. Gemeinsam begrüßten sie rund 400 Teilnehmende aus DDR und BRD: Menschen, denen der Schutz wertvoller Natur am Herzen lag, die jedoch noch bis vor kurzem durch eine nahezu unüberwindbare Grenze getrennt waren. Am Ende des Treffens hielten sie in einer Resolution fest, den einstigen Grenzstreifen als „ökologisches Rückgrat Mitteleuropas“ zu sichern. Und sie fanden einen Namen für das Vorhaben: Grünes Band.
Links und rechts von einem Grenzpfahl in Deutschlandfarben stehen zwei Männer. Im Hintergrund ist Wald zu sehen.

Hubert Weiger und Kai Frobel an einem Grenzpfahl am Grünen Band. | Foto (Detail) © BUND e.V.

Ein langer Weg zum Erfolg

Heute liest sich die Geschichte des Grünen Bandes wie ein Erfolgsprojekt mit Ansage. Wo sonst gibt es noch Flächen in Deutschland, die von Menschen lange Zeit unberührt waren und anschließend dem Naturschutz überstellt wurden? Zwei Drittel des einstigen Grenzstreifens stehen heute unter Schutz. 87 Prozent des Grünen Bandes gelten als naturnah. Insgesamt umfasst es 177 Quadratkilometer über neun Bundesländer hinweg und enthält 146 verschiedene Biotoptypen. 5.000 Arten von Tieren und Pflanzen kommen hier vor. 1.200 von ihnen sind gefährdet, für sie ist das Gebiet besonders wichtig.
Auf dem Bild sieht man einen Storch in einem Flussbett.

Ist auf naturnahe Auen als Lebensraum angewiesen: Der seltene und streng geschützte Schwarzstorch. | Photo (Detail) © Dieter Damschen

Doch dieser Verdienst ist hart erarbeitet. Fast zehn Jahre sollte es nach dem ersten Treffen dauern, bis das „Grüne Band“ als eigenes Projekt installiert wurde. Jahrelang führten Naturschutzverbände Kartierungen durch, um die ökologische Besonderheit des einstigen Grenzstreifens vor Behörden zu belegen, allen voran der Bund für Naturschutz und Umwelt in Deutschland (BUND), der das Projekt bis heute federführend betreut. Minen mussten geräumt werden, Flächen, die durch Enteignung zum Grenzgebiet gemacht worden waren, gingen an ihre ursprünglichen Besitzer*innen zurück. Bis heute sind aus dem Grund etwa 30 Prozent des Grünen Bandes in Privatbesitz: Die Eigentümer*innen bestimmen selbst, was mit diesen Flächen passiert. Das Grüne Band sind daher eigentlich eher Grüne Bänder. Doch selbst dieser Zustand ist wertvoll. Die schmalen Schutzgebiete bilden Biotopverbünde, also Trittsteine für die Natur in einer Landschaft, die von Menschen genutzt wird.

Aus der Vogelperspektive sieht man einen Grünstreifen inmitten gelber Felder. Foto (Detail) © Klaus Leidorf

Erst in den frühen 2000er-Jahren wird der Schutz des Grünen Bandes auch politisch gefestigt. 2018 werden die Abschnitte in Thüringen zum Nationalen Naturmonument erklärt, 2019 folgt Sachsen-Anhalt, 2022 Brandenburg und 2023 Hessen. Mit diesem Status werden die genannten Abschnitte wie Naturschutzgebiete behandelt.

Der potenziell längste Biotopverbund der Welt: Der "European Green Belt"

Mittlerweile ist das Grüne Band zum Vorbild für ein europaweites Schutzprojekt geworden. Die „European Green Belt Initiative“ setzt sich für ein zusammenhängendes Schutzgebiet entlang des einstigen „Eisernen Vorhangs“ ein. Auf einer Gesamtlänge von rund 12.500 Kilometern würde es 24 Länder betreffen: von der russisch-norwegischen Grenze über die Küsten der baltischen Staaten, quer durch Mitteleuropa Richtung Balkan bis hin zu Mittelmeer und Schwarzem Meer. Und mittendrin: das Grüne Band. Es wäre der längste Biotopverbund der Welt.

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